Fraktionschef der LINKE+ hält Rede zu Corona-"Spaziergängen"

Jeden Montag ziehen die Corona-"Spaziergänger" durch die Dortmunder Innenstadt. "Nichts spricht dagegen, in einer demokratischen Gesellschaft die Corona-Maßnahmen zu diskutieren oder sie in Frage zu stellen. Wir akzeptieren aber nicht, dass dabei die Gefahr von COVID-19 verharmlost, der Nutzen der Impfung kleingeredet und damit Menschen in Gefahr gebracht werden. " Diese gemeinsame Aussage trafen Grüne, CDU, SPD und PARTEI in der Ratssitzung am 17.02.2022. Ihr Ziel: Sie wollten sich geschlossen zu diesen Spaziergängen äußern.
Die Fraktion DIE LINKE+ sieht das ähnlich, dennoch hat sie die gemeinsame Erklärung nicht unterzeichnet.
In einer Rede vor dem Rat erklärte der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE+, Utz Kowalewski, die Beweggründe seiner Fraktion:

Hier ist die Rede, die Utz Kowalewski, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE+, am 17. Februar 2022 im Rat gehalten hat: 

Man marschiert nicht mit Nazis. Man macht sich nicht gemein mit faschistischen Gewaltverbrechern, Antisemiten und Volksverhetzern. Dafür gibt es aus Sicht unserer Fraktion keinerlei Entschuldigung. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Und viele krude Verschwörungstheorien, die dem gesunden Menschenverstand zuwider laufen, haben ja nur den Sinn Verwirrung zu stiften, um als Nährboden für die ebenso krude faschistische Ideologie zu dienen.

Das ist der Grundkonsens auch der demokratischen Fraktionen dieses Rates, zu dem wir uns ausdrücklich bekennen. Daher können wir auch den ersten vier Absätzen der Resolution bis zur ersten Zwischenüberschrift ohne weiteres zustimmen. An dieser Stelle hätte die Resolution aber meiner Ansicht nach auch gut aufhören können und auch aufhören sollen.

Im nächsten Absatz hebt die Resolution auf die Belastung des Gesundheitssystems durch die Pandemie ab, so als seien die Probleme des Gesundheitssystems eine Folge der Pandemie. Ja – die Pandemie belastet das Gesundheitssystem. Die abgewählte alte Bundesregierung hat das aber auch getan. Der Pflegenotstand bestand nämlich auch bereits vor der Pandemie – dazu findet sich in der Resolution kein einziges Wort. Auch nicht dazu, dass der ja durchaus vorhandene und fachlich fundierte Pandemieplan der Bundesrepublik gar nicht umgesetzt wurde. Auch die von den LINKEN mitunterstützte Volksinitiative „Gesunde Krankenhäuser in NRW“ findet keine Erwähnung. Alleine im ersten Pandemiejahr mussten beispielsweise 20 Krankenhäuser in Deutschland schließen – nicht weil sie nicht gebraucht würden, sondern weil sie finanziell nicht effizient genug waren. So schreibt auch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in einer Studie zur Pandemie: „Eine übermäßige Fixierung auf die Maximierung der Effizienz geht hingegen mit einer niedrigeren Resilienz einher“. Resilienz meint hier die Fähigkeit mit Schockereignissen wie dem Auftreten einer Pandemie sachgerecht umgehen zu können. Die alte Bundesregierung hat sogar ganz bewusst den sogenannten Krankenhausstrukturfonds geschaffen, um die Schließung von Krankenhäusern in Deutschland zu fördern. Die Landesregierung NRW nimmt diesen Spielball auf und ordnet im Krankenhausplan NRW die Behandlungsqualität für die Patient:innen den reinen finanziellen Betriebsergebnissen unter.

Im folgenden Absatz wirbt die Resolution dafür sich impfen zu lassen. Ich bin mit einer Werbung zur Impfung sehr einverstanden. Leider sind die dortigen Formulierungen sachlich falsch. Die Wissenschaft ist sich keineswegs einig darin, dass Impfungen der einzige Weg aus der Pandemie sind. Unter anderem auch deshalb, weil anders als bei den Impfungen gegen Pocken, Masern oder Polio eine Corona-Impfung nur einen relativen Schutz bietet und keine dauerhafte Immunität. Und außerdem sind die Patente nicht freigegeben, so dass einem Großteil der Weltbevölkerung gar kein Impfstoff zur Verfügung steht, was für die Endwicklung einer Pandemie fatal ist. Hier macht sich die Resolution ohne Not angreifbar.

Der Gipfel ist aber der Hinweis, dass man belastbare Informationen nur durch staatliche Stellen und renommierte Medien bekommen würde. Nein, belastbare Informationen erhält man durch wissenschaftliche Quellen und nicht durch das simplifizierte Halbwissen, das in sich gegenseitig widersprechenden Aussagen aus so manchem Ministerium kundgetan oder in verkürzten reißerischen Schlagzeilen der Magazine dargestellt wird. Diese Kakophonie macht sich ja auch in unausgegorenen und nicht einheitlichen Maßnahmen deutlich, die die Bevölkerung immer mehr frustrieren. Die darf man nicht nur kritisieren – die muss man sogar kritisieren, denn wenn Lobbyisten bestimmter Betriebe mit Blick auf ihre Quartalszahlen über die Maßnahmen für die Bevölkerung mitentscheiden dürfen oder wenn Vorveröffentlichungen nicht haltbarer Studien von Regierungen zur termingerechten Begründung von Maßnahmenlockerungen in Auftrag gegeben und bezahlt werden, dann darf man sich nicht darüber wundern, wenn die Menschen verunsichert sind und auch das Vertrauen verloren geht.

Eine Resolution die tatsächlich etwas bewirken will, sollte nicht nur eine Selbstbestätigung in Bezug auf die eigenen Positionen sein, sondern sie sollte versuchen jene Menschen zu erreichen, die Zweifel haben. Das tut die vorgelegte Resolution leider nicht und deshalb sind wir auch nicht glücklich darüber, dass dieses Werk in der jetzigen Form zur Abstimmung steht.

Aber auch wir haben in unserer Fraktion sehr kontrovers über den Resolutionsentwurf diskutiert. Vor allem aber auch über die Frage, welcher Umgang damit nun welche Botschaft in die Stadtgesellschaft sendet. Einige sind der Ansicht, eine möglichst große Geschlossenheit würde möglichst große Wirkung erzeugen. Andere meinen, dass man versuchen sollte, diejenigen mitzunehmen, die Zweifel an der Corona-Politik haben und sie eben nicht den rechten Rattenfängern überlassen darf. Wir haben daher die Abstimmung über die Resolution für unsere Fraktion freigegeben. Leider können die Vertreter von Tierschutzpartei und Piraten heute wegen der Sollstärkenregelung nicht dabei sein – sie hätten aber der Resolution sonst zugestimmt – da wäre ich für eine kurze Protokollnotiz dankbar.

Danke für die Aufmerksamkeit.

 

Diese  Erklärung haben Grüne, CDU, SPD und PARTEi am Donnerstag, 17. Februar 2022, im Rat verabschiedet:

Der Weg aus der Pandemie ist kein Spaziergang

Erklärung für ein solidarisches Miteinander 

Wöchentlich ziehen aktuell hunderte sogenannte „Spaziergänger*innen“ durch Dortmund, um gegen aktuelle und mögliche weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu demonstrieren - unter ihnen auch Mitglieder der Querdenken-Bewegung sowie stadtbekannte Faschisten und Gewalttäter.  

Nichts spricht dagegen, in einer demokratischen Gesellschaft die Corona-Maßnahmen zu diskutieren oder sie in Frage zu stellen. Wir akzeptieren aber nicht, dass dabei die Gefahr von COVID-19 verharmlost, der Nutzen der Impfung kleingeredet und damit Menschen in Gefahr gebracht werden.  

Wir akzeptieren nicht, dass dabei neben zahlreichen Fake-News über die Corona-Pandemie und die Impfung von einem Teil der Teilnehmer*innen auch NS- und Holocaustverharmlosungen, Antisemitismus und Verschwörungserzählungen verbreitet werden, um Hass zu erzeugen und unsere Demokratie zu destabilisieren. 

Wir fordern alle demokratischen Teilnehmer*innen der Spaziergänge auf, sich klar und deutlich sichtbar von diesen Positionen zu distanzieren. Wir begrüßen, dass die Dortmunder Polizei in diesem Zusammenhang das Tragen gelber Sterne mit der Aufschrift “ungeimpft” untersagt.  

Der Rat der Stadt stellt sich jeglichem demokratieschädigendem Verhalten klar entgegen. Dortmund hat keinen Platz für Verschwörungserzählungen, Antisemitismus und Rechtsextremismus, für Drohungen gegenüber Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Menschen in medizinischen und pflegenden Berufen. 

Wir sehen den Ernst der Lage. 
Seit Beginn der Pandemie sind allein in Dortmund inzwischen fast 500 Menschen an und mit dem Virus gestorben. Mediziner*innen und das Pflegepersonal arbeiten am Limit. Das geht auch auf Kosten der allgemeinen Gesundheitsversorgung. Die bisher erreichte (und noch immer zu niedrige) Impfquote und die Einschränkung von Kontakten haben bisher den Kollaps insbesondere der Kliniken verhindern können.   

Auch viele Restaurants, der Einzelhandel und Produktionsbetriebe müssen die Regeln der Schutzverordnung umsetzen und versuchen trotz Ausfällen ihre Unternehmen auch in der Pandemie aufrecht zu erhalten. Trotzdem sind Existenzen gefährdet.  

Einsamkeit und Isolation bedrücken viele Menschen. Viele Kinder und Jugendliche sind nach zwei Jahren Pandemie psychisch belastet bis zur Ausprägung von psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Essstörungen und selbstverletzendem Verhalten. Sie tragen bis heute die Folgen der “Impflücke” bei den Älteren; sie brauchen in besonderem Maße unsere Unterstützung und Entlastung durch Angebote in Schule, Sport und Jugendarbeit. Viele Eltern sorgen sich um ihre Kinder in Kitas und Schulen und sind durch Ansteckungen und Quarantänen großen privaten und beruflichen Belastungen ausgesetzt. Sie alle brauchen unsere Solidarität und Unterstützung. 

Gemeinsam Verantwortung für unsere Stadt übernehmen 
Die Wissenschaft ist sich einig: Der beste Weg raus aus der Pandemie ist die Impfung. Impfungen vermindern das Risiko von Infektionen und insbesondere das Risiko für schwere Krankheitsverläufe und sind der beste Schutz für die gesamte Gesellschaft. In Dortmund werden und wurden viele Wege beschritten, um das Impfangebot möglichst niedrigschwellig und attraktiv zu machen. Ob im Klinikum, im Impfbus oder in einem Weinkeller: überall kämpfen Dortmunder*innen dafür, diese Pandemie zu beenden. Den Organisator*innen dieser Veranstaltungen gilt unser Dank.  

Wir wollen den Menschen eine Stimme geben, die gemeinsam mit uns daran interessiert sind, die Pandemie einzudämmen. Wir sind zusammen mit den bereits geimpften Bürger*innen in dieser Frage die Mitte dieser Gesellschaft, die Mehrheit. Auch sie muss sichtbar sein. 

Wir fordern insbesondere alle impfkritischen Bürger*innen auf, sich zu informieren und dabei auf belastbare Informationen zu setzen. Das sind vor allem staatliche Stellen und renommierte Medien. 

 Wir rufen alle Bürger*innen dazu auf, Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen eine solidarische Stadt, keine gespaltene. Echte Solidarität in der Pandemie bedeutet, sich impfen zu lassen, da, wo es gesundheitlich vertretbar ist sowie Kontaktbeschränkungen so lange wie notwendig mitzutragen.