„Umgang mit Obdachlosen ist immer noch ein Skandal“ 

„Ich bin fassungslos. Schlechter hätte das Jahr politisch gar nicht starten können.“ Fatma Karacakurtoglu, sozialpolitische Sprecherin der Ratsfraktion DIE LINKE+, kann die aktuellen Schlagzeilen aus Dortmund kaum glauben. Immer noch verhängen städtische Bedienstete zahlreiche Bußgelder gegen Obdachlose. Nun kam ein Fall sogar vor Gericht. Der wohnungslose Mann konnte die über 7300 Euro Bußgelder durch die Stadt nicht begleichen und sollte durch Betreiben der Stadt Dortmund zu einer Erzwingungshaft verurteilt werden.

Das Gericht sah jedoch keine Veranlassung, einen zahlungsunfähigen Mann in eine Erzwingungshaft zu stecken – einen Mann, der neben einem fehlenden Dach überm Kopf  und fehlendem Geld auch noch ganz andere Probleme hat: Drogen, Alkohol, eine Behinderung. Das Gericht stellte sogar explizit fest, dass eine Erzwingungshaft nicht als Ersatzfreiheitsstrafe missbraucht werden dürfe. Oder schärfer ausgedrückt, als Gerichte das tun dürfen: Rechtsdezernent und Rechtsamt verhalten sich gegenüber Obdachlosen rechtswidrig. Dieses Verhalten der Stadt wird DIE LINKE+ in der nächsten Ratssitzung thematisieren.

„Ich finde es skandalös, wie in Dortmund immer noch mit den Schwächsten der Gesellschaft umgegangen wird. Das muss endlich aufhören. Die Stadt Dortmund hat eine Verantwortung für jeden Menschen, der hier lebt. Deshalb müsste es die Aufgabe von städtischen Mitarbeitern sein, Obdachlosen zu helfen statt sie zu gängeln. Ihnen Strafzettel in insgesamt unrealistischer Höhe zu verpassen, das ist abartig“, so Fatma Karacakurtoglu. 

Der wohnungslose Mann war unter anderem mehrfach wegen Verstoßes gegen die Corona-Auflagen in der Öffentlichkeit aufgefallen. Natürlich heiße sie dieses Verhalten nicht gut, sagte Fatma Karacakurtoglu. „Regeln gelten für alle. Aber man darf nicht vergessen, dass gerade wegen Corona viele Hilfsangebote teilweise monatelang geschlossen waren“, sagt die Ratsfrau. „Obdachlose können nun mal nicht nach Hause gehen, auch wenn die Ordnungsdienste sie noch so häufig dazu auffordern.“ Hinzu komme, dass sicher nicht jeder Obdachlose täglich die Nachrichten verfolge und die jeweils gültigen Corona-Regeln kenne. Da wäre schon ein wenig Fingerspitzengefühl von den städtischen Ordnungsmitarbeitern passend gewesen.

Doch Fingerspitzengefühl alleine reicht der linken Politikerin nicht. „Die Stadt Dortmund und viele soziale Organisationen tun schon sehr viel für die Obdachlosen“, sagt Fatma Karacakurtoglu, die die diversen Maßnahmen als Mitglied im Sozialausschuss begleitet und auch anerkennt. „Doch dieser aktuelle Fall zeigt uns doch, dass es offenbar immer noch nicht genügend Hilfen gibt. „Wir müssen noch mehr tun. Und wir müssen vor allem das Richtige tun.“ Eine Möglichkeit sei, das Modell ‚Housing First‘ noch schneller und umfangreicher vorantreiben, eine Art betreutes Wohnen in eigenen Wänden. Eine solidarische Gemeinschaft dürfe jedenfalls keinen Menschen allein lassen. Auch wenn dieser möglicherweise nicht in das gängige Bild des Ordnungsamtes von Sauberkeit und Ordnung passe, fasst Fatma Karacakurtoglu zusammen.

Hier ist die Anfrage, die am 17. Februar 2022 von der Fraktion DIE LINKE+ im Rat gestellt wurde:

Tagesordnungspunkt Erzwingungshaft für Obdachlose


Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
der Rat hatte sich bereits im Jahr 2020 mit dem Verhalten der Stadt gegenüber Obdachlosen
in Bezug auf ordnungsbehördliche Maßnahmen befasst. Seinerzeit wurde der Verwaltung
nahegelegt, diese Fälle mit mehr Fingerspitzengefühl zu behandeln, da Obdachlose
auch nach Platzverweisen nicht einfach nach Hause gehen können, weil sie kein Zuhause
haben. Damals ging es um den Fall eines obdachlosen Bruderpaares, das nebeneinander
auf einer Treppe im öffentlichen Raum gesessen hatte.
Die Presse berichtete unlängst erneut über einen absurden Fall, bei dem einem im Rollstuhl
sitzenden Obdachlosen seitens der Stadt Dortmund wegen Verstößen gegen die
Corona-Schutzverordnung Bußgelder in einer Gesamthöhe von über 7300 Euro auferlegt
wurden. Da der Mann erwartungsgemäß nicht zahlungsfähig war, versuchte die Stadt
dann, den Mann durch Veranlassung einer Erzwingungshaft ins Gefängnis zu werfen und
ihn somit aus dem Stadtbild zu beseitigen. Das Gericht urteilte jedoch, dass ein solches
Vorgehen angesichts der Zahlungsunfähigkeit des Mannes nicht rechtens ist und eine Erzwingungshaft
nicht als Ersatzfreiheitsstrafe durch die Stadt missbraucht werden darf.

Zu diesem Themenkomplex bittet die Fraktion DIE LINKE+ um Beantwortung der nachstehenden Fragen.

1) Wie viele Bußgeldverfahren sind derzeit bei der Stadt Dortmund gegen Menschen ohne
Obdach aufgrund von Verstößen gegen die Corona-Auflagen anhängig?
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2) Wie viele Menschen sind in Folge dieser Bußgelder von Freiheitsstrafen bedroht? Wie
viele Menschen ohne Obdach sitzen derzeit bereits in Haft? Wie viele Verfahren wurden
insgesamt seit Pandemiebeginn bisher angestrengt, um Haftstrafen für Obdachlose zu
erreichen?
3) Welcher Kontrolldichte sind Menschen ohne Obdach durch die Stadt Dortmund in Bezug
auf die Coronaschutzverordnung derzeit ausgesetzt?
4) Welche Verhältnismäßigkeit im Umgang mit Obdachlosen hinsichtlich der Coronaschutzverordnung
sieht die Verwaltung in Bezug auf das Ansteckungsrisiko beispielsweise
im Vergleich gegenüber Massenveranstaltungen wie Weihnachtsmärkten, Fußballspielen,
Schulunterricht oder Karnevalssitzungen?
5) Welche Anstrengungen wurden von Seiten der Stadt Dortmund bislang unternommen,
um die Einführung des vom Rat beschlossenen Housing First Konzeptes zu gewährleisten
und obdachlose Menschen in Wohnraum unterzubringen?